Wein und Oliven wachsen auf den sanften Hügeln des Bélice-Tals.
Im südwestlichen Innern Siziliens, circa sechzig Kilometer von Trapani und hundert Kilometer von Palermo entfernt, ist die 4000-Seelen-Stadt heute der Ort mit der höchsten Dichte an moderner Kunst in ganz Italien. In der Nacht zum 15. Januar 1968 zerstörten Erdbeben in einem Umkreis von 110 Kilometern vierzehn Orte des Bélice-Tals. Zwei von ihnen, Poggioreale und Gibellina wurden nie wieder aufgebaut. Heute gibt es Gibellina gleich zweimal: das alte Dorf, das in den Köpfen der ehemaligen Bewohner weiterlebt. Und eine neue Stadt, Gibellina Nuova, 13 Kilometer weiter westlich. Sie wurde verkehrsgünstig direkt an Bahnlinie und Autobahn platziert. Anders als die Nachbardörfer erfuhr Gibellina die besondere Aufmerksamkeit der Medien. Vieles haben die Bürger dem damaligen Bürgermeister Ludovico Corrao zu verdanken, der nicht nur Politiker, sondern auch namhafte Künstler aus aller Welt nach Gibellina einlud. Arnaldo Pomodoro, Pietro Consagra, Oswald Mathias Ungers oder Rob Krier sind nur einige, die sich tatkräftig für eine neue Siedlung einsetzten, indem sie mit ihren gestifteten Werken die Stadt in ein Museum der zeitgenössischen Kunst verwandelten. Ziel war es, eine Stadt nicht vom Reißbrett entstehen zu lassen, sondern ein kulturelles Zentrum mit unverwechselbarem Profil und mit Lebensqualität zu schaffen. Es entstand basierend auf Grundrissen englischer Gartenstädte eine eigenwillige urbane Struktur. Breite Straßen und zweistöckige Wohngebäude in Reihenhausbau mit kleineren Vorgärten und Grünflächen.
Der erste Eindruck dieses urbanen Experiments ist leider der einer Geisterstadt. Einige Häuser sind fertiggestellt und bestens gepflegt – daneben Betonruinen. Vieles wirkt verlassen. Einem noch zugelassenen Familienvan fehlt in allen vier Reifen Luft. Keine Spur vom bekannten „dolce vita“ der italienischen Städte. Die öffentlichen Kunstwerke bröckeln vor sich hin.
Der Spaziergang beginnt mit einem Espresso am Meeting, einem durchsichtigen Gebäude von Consagra mit Bar. Dann geht es zum Palazzo di Lorenzo. Der Architekt Francesco Venezia verarbeitete hier die Steinfassade des Palastes aus dem alten Gibellina. Im Sommer finden im Innenhof Open-Air-Veranstaltungen statt.
Nun geht es vorbei an einer riesigen Betonruine. Es sieht aus, als hätte dies ein Parkhaus für die Besuchermassen werden sollen.
Weiter geht es zum Rundkuppelbau der monumentalen Kirche Chiesa Madre von Ludovico Quaroni. Ein Stück weiter zeigt das Museo d’Arte Contemporanea einen Großteil der Künstlerspenden.
Der Rundgang endet am Rathaus mit seinem Vorplatz. Auch hier zeigt sich die kühle, morbide Ausstrahlung der Stadt irgendwo zwischen Leben und Lost-place.
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